Lagerfeuergeschichten

Eine jener Erzählungen aus dem großen verloren geglaubten Buch ungeschriebener Geschichten.

Es war einmal...
zu einer Zeit, als Elfen und Zauberer die Welt bevölkerten,
Menschen nicht nur Tiere, sondern auch sich selbst verstehen und sogar noch ab und an Einhörner sehen konnten.

Dazu muss man wissen, dass Einhörner sehr scheue Geschöpfe sind.
Kein Jäger hat je eines vor seinem Pfeil gehabt.
Einhörner haben eine ganz eigene Art der Magie...
eine unsichtbare
Doch wenige Menschen haben je ein Einhorn zu Gesicht bekommen, auch Neval nicht - er war ja auch noch jung - der zweitjüngste Sohn in einer kleinen Bauernfamilie. Sie waren gar nicht mal so arm, drum hatten sie immer genug zu essen, lebten bescheiden und waren zufrieden mit dem, was sie hatten.

Es war nun also zu jener Zeit ein schöner Sonntag, an dem die Mutter Neval losschickte in den Wald - Beeren zu sammeln für ihren Kuchen.
Er freute sich schon sehr darauf. So nahm er schnell seine Tasche und machte sich auf in den Wald.
Dort angekommen fand er einige Beeren - ach was sag ich? ganze Blaubeerstauden! Die Himbeeren und Brombeeren waren zu der Zeit zwar gerade nicht reif, aber es waren doch mehr als genug. So sammelte Neval Blaubeeren. Nach und nach füllte sich seine Tasche und als sie voll war, dämmerte es schon langsam.
Nun erst bemerkte er, dass er weit von dem bekannten Weg abgekommen war. Er schaute sich suchend nach allen Seiten um, ging mal dort und mal da entlang.
Nun wuchs in ihm ein wenig Sorge - aber noch schimmerte die Sonne über den Horizont orange und rot, mit sanften Farben bis hin zum tiefen Blau.
Der volle Mond hatte sich schon über die hohen Bäume erhoben - noch matt sein Licht im Schein der hellen Sonnenstrahlen
Weiter suchte Neval, musste sich auch manchmal durchs Unterholz kämpfen, aber der Wald hiess nicht umsonst "der grosse Wald".
Nun kamen ihm auch wieder all jene Gerüchte in den Sinn, die er über den Wald gehört hatte: von Jägern, die kein einziges Wild auf ihren Wegen zu Gesicht bekamen, von Bäumen mit Gesichtern, die sich bewegten - und noch viel mehr, aber zum Glück sah er von dem noch nichts. Er schaute sich nur zunehmend ängstlich um - plötzlich sah er von einem Ast vor ihm zwei kleine Lichter leuchten. Er erschrak, blieb auf der Stelle stehen bis es wenig später "uhu" machte.
Neval atmete auf und ging wieder langsam weiter - das Herz noch wild pochend.
Über Wurzeln und durch Gestrüpp führte ihn sein Pfad. Eigentlich konnte man ihn kaum einen Pfad nennen - vielleicht hatten ihn nicht einmal Menschen getrampelt, sondern Hirsche oder Wildschweine.

Langsam war die Dämmerung hereingebrochen. Kaum mehr ein Licht war von der Stelle zu sehen, an der die Sonnenscheibe versunken war. Es wurde Nacht und damit wurde es zunehmend schwerer den bekannten Weg zu finden und zu erkennen.
Noch weiter ging er - immer unsicherer, ob er wieder nach Hause finden würde. Er wusste schon kaum noch, wie lang er unterwegs gewesen war, da sah er etwas und wunderte sich. Er dachte "konnte das denn sein? hier? mitten im grossen Wald?" Langsam ging er darauf zu - schenkte allem anderen kaum noch Aufmerksamkeit...
und wirklich - da schimmerte etwas orange, ein wenig unstet flackernd. "sollten hier vielleicht Räuber ihr Lager haben?", dachte er sich und so lugte er an einem dicken Baum vorbei zum Lagerfeuer hin, das inmitten einer grossen begrasten Lichtung brannte. An dessen Seite sass ein alter Mann. Neval konnte kaum sagen, wie alt - er wusste nur, dass etwas höchst seltsames an ihm war, aber er schien nicht gefährlich und so ging Neval langsam zum Lagerfeuer hin. Jetzt erst sah er die weisse Gestalt, die fluchs hinter einem Strauch verschwand. Er schaute recht verwundert dorthin... und zum alten Mann und wieder zum Strauch... konnte sich nicht so recht entscheiden, was seltsamer war... bis der Mann anfing zu sprechen - keineswegs zittrig und alt klang die Stimme, sondern ruhig und voller Güte:
"wir haben euch bereits erwartet". Noch mehr Erstaunen breitete sich auf Nevals Gesicht aus, hatte er doch selbst noch vor wenigen Augenblicken nicht gewusst, dass er heute dort sein würde. Der alte Mann machte eine winkende Geste zu dem Strauch hinüber und Neval folgte ihr mit dem Blick... und hervor trat...
ein Einhorn
zierlich die Gestalt, weiss die Mähne, der Schweif, das ganze Fell - trabte es wieder näher ans Lagerfeuer und liess sich da nieder, wo es wohl zuvor schon lange Zeit geruht hatte. Das Erstaunen in Nevals Gesicht könnt ihr euch vorstellen. Inmitten des grossen Waldes nicht nur ein Lagerfeuer gefunden zu haben, sondern auch jene beiden seltsamen Gestalten. Die eine weiss und ewig jung, so voller Unschuld und die andere - das konnte er auch kaum sagen... und je länger er dem alten Mann in das Gesicht schaute, um so rätselhafter schien es ihm: alt und jung, fröhlich und traurig, voller Furcht und doch Geborgenheit ausstrahlend. Er wusste es nicht - und wagte nicht zu fragen.
So saßen sie dort ein wenig... wortlos... ganz seltsam... das alles. Fast schien es, als könnte er ihre Gedanken wahrnehmen... und sie die seinen: von der Angst, dem Wald, dem Zuhause, was die Mutter wohl sagen würde, wenn er nicht zur¨ckkehrt, wie sie weint in der Kammer, voller Sorge.
Das Einhorn blickte Neval aus seinen grossen Augen an... tief und voller Liebe... erhob es seine Stimme... klangvoll, sanft schwebten Töne durch den Wald... viel weiter noch - über Felder und Wiesen, Berge und Hügel - bis ferne zu dem Meer konnten Menschen sie hören, wenn sie es nur wollten.
Es klang, wie das Summen der Bienen - im Kornblumenfeld
wie das Zwitschern der Vögel - unsichtbar in den Bäumen
wie das Flüstern des Windes über Meeren und Seen
hat es alles gesehn.
Es erzählte vom Glitzern des Morgentaus im ersten Sonnenstrahl des Tages, der getragen von seidenen Fäden eines Spinnennetzes gleichsam schwebt unter den alten hohen Bäumen des grossen Waldes.
Es erzählte vom Treiben der weißen Schäfchenwolken am himmelblauen Zelt.
Es erzählte von dem, was war auf der Welt, von dem was ist, und was noch sein sollte.
von den Tieren des Waldes, was sie erfreut und beschwert - von Menschen gleichermaßen.

Andächtig lauschte Neval... bemerkte kaum, wie Zeit verging. Als das Lied geendet hatte und die letzten Töne ausgeklungen waren, hob Neval den Kopf und blickte die beiden an. Ein zuversichtliches Lächeln hatte sich auf seine Lippen geschlichen. Woher konnte er selbst nicht sagen.

Langsam erhob sich der alte Mann von seinem Platz am Lagerfeuer.
Neval sagte noch "ich danke euch"
Und der Alte antwortete "vergeßt nichts - nichts von alledem, was ihr erfahren habt - erfahren mußtet. Bewahrt es gut, denn es ist eures."
Damit wandte er sich um und ging langsam durch den Wald von dannen und mit ihm ging das Einhorn.
Eine gute Weile saß Neval noch am Lagerfeuer und dachte über jene Worte nach. Lang schien es ihm zumindest - doch als er aufblickte sah er den Mond noch am gleichen Ort wie zu dem Zeitpunkt, zu dem er gekommen war. Langsam erhob nun auch er sich. Er ging durch den Wald - nun ganz ohne Furcht - denn er kannte nun dessen Bewohner. Nun hatte er sie gesehen. Einigen ging er aus dem Weg, andere grüßte er, ging sogar auf sie zu. Nun fand er auch seinen Weg - fast wie von allein, von einer unsichtbaren Macht geleitet.
Als er nach Hause kam, fand er seine Mutter überglücklich, ihn mit Tränen in den Augen umarmend und - da waren nun auch die vielen gesammelten Blaubeeren aus denen sogleich ein schmackhafter Kuchen zubereitet wurde, welcher heute noch tausend mal besser war als sonst schon.
Lange noch lebte Neval glücklich - und vergaß nie jene Nacht - nicht jene Begegnung mit dem Einhorn, nicht ein Erlebnis.

Natürlich hat auch Neval viel geweint in seinem Leben.
Doch das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden

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