König Arthur und das Einhorn

In seiner Jugend begab sich König Arthur einst allein auf große Seefahrt auf der Suche nach Abenteuern. Auf seiner Reise jedoch wurde er von einem Sturm überrascht, der ihn weit von seinem Kurs abbrachte und ihn schließlich an einen einsamen Küstenstreifen spülte, an dessen Ufern sich sein Schiff auf einer Sandbank festsetzte. Das einzige Zeichen für Zivilisation an der zerklüfteten Küste war ein einzelner, rechteckiger, roter Turm am Rande eines Waldes. So machte sich Arthur in diese Richtung auf, um Hilfe zu bekommen.

Es war ein seltsamer Turm, ohne Türen und Fenster und zuerst gab es auch keine Reaktionen auf sein Rufen. Doch dann erschien der Kopf eines Mannes hoch oben in den Zinnen. "Wer bist du und was willst du?" zeterte er hinunter. Arthur ließ sich nicht abschrecken. Er erklärte, daß er Hilfe brauche, da sein Schiff sich im Sand festgesetzt hatte. Der Fremde schien ein wenig besänftigt. "Du hast einen guten Grund für dein Stören," erwiderte er, "aber wir können nichts unternehmen, solange mein Sohn nicht von der Jagd zurück ist. Wenn du wartest, wird er dir sicher auf deinen Weg zurückhelfen."

Arthur hatte wohl kaum eine Wahl, also setzte er sich an den Fuß des Turmes. In einem zweiten Anlauf fragte er den Fremden, weshalb er denn an einem solch entlegenen Ort lebe. "Sir," erklang es von den Zinnen, "ihr könnt von dort unten nicht erkennen, aber ich bin ein Zwerg und vor langer Zeit war ich im Dienste des Herrschers von Nordumbria. Ihr müßt wissen, das Leben eines Zwerges ist gefährlich und wenn etwas schief läuft, gibt man lieber einem Zwerg als einem anderen die Schuld. So ist es auch mir geschehen und mein Herr hat mich und meine Frau verbannt, gestrandet an diesem untröstlichen Ort. Sie, meine arme Frau, starb unmittelbar nach der Geburt unseres Kindes.

Nachdem ich sie begraben hatte, wickelte ich das Baby in ihre Kleidung und machte mich auf die Suche nach einem Ort zum Schutz vor dem Wetter und den wilden Tieren in der Nacht. Außerdem war Winter und ich hatte Angst um das Leben des Kindes. In dem Wald nicht weit von hier fand ich einen großen, hohlen Baum, gefüllt mit Laub. Ich begann darin ein Bett für mein Kind herzurichten, als ich ein Rascheln hörte und ein Nest voll Kitze entdeckte. Sie hatten gut versteckt zwischen den Blättern gelegen, so daß ich sie nicht gesehen hatte, bevor sie sich bewegten.

Jedes der Kitze hatte ein kleines Horn in der Mitte der Stirn. Gut, ich war so überrrascht von der Entdeckung, daß ich zuerst nicht wußte, was ich tun sollte. Da kam plötzlich die Mutter zurück. Sie war ein großes, weißes Tier, etwas so groß wie ein Pferd, mit einem Horn wie eine Lanze in der Mitte der Stirn. Das Funkeln in ihren Augen verriet mir, daß sie glaubte, ich wolle ihre Kinder stehlen oder ihnen gar schaden. Ich geriet in Panik und rannte weg.

Gerade als ich mich zu meiner Flucht beglückwünschen wollte, bemerkte ich, daß ich in dem Chaos meinen Sohn verloren hatte. Als ich den seine Schreie aus der Ferne vernahm, wußte ich, daß ich ihn wohl im hohlen Baum zurückgelassen hatte. Ich hatte Angst doch zögernd kroch ich zurück. Mein Herz stockte, als das Babyschreien plötzlich verebbte. Ich liebte das Kind über alles, zum einen um seinetwillen, aber auch, weil es die einzige Erinnerung an meine geliebte Frau war. Als ich näher kroch, fand ich das Einhorn im hohlen Baum liegend seine Jungen säugen und mein Baby lag zwischen ihnen, versorgt und umhegt als wäre es ein Brüderchen.

In dieser Nacht versteckte ich mich in der Nähe, ich fror mich fast zu Tode, unfähig zu entscheiden, was ich tun sollte. Es war offensichtlich, daßdas Einhorn mein Kind besser versorgen konnte als ich es je könnte, aber wie konnte ich ihn der Obhut eines wilden Tieres überlassen? Als am Morgen das Einhorn das Lager zum Fressen verließ, nahm ich meinen Sohn, wusch ihn und windelte ihn so gut ich konnte. Ich entschied, ihn ins Nest zurückzubringen, aber bevor ich es tun konnte, kehrte das Muttertier zurück.

Dieses Mal jedoch grüßte sie mich auf die zuvorkommenste und süßeste Weise und als sie sich mit ihren Jungen niederlegte, deutete sie mir mit ihrem Kopf, meinen Sohn zu ihr zurückzulegen. Seit diesem Tag an wurde das Einhorn die Amme für meinen Sohn. Ich baute eine Hütte in der Nähe des hohlen Baumes, wo wir wie eine glückliche Familie lebten und keine teufliche Kreatur warte es, uns zu bedrohen.

Die Milch des Einhorns jedoch barg so viele Nährstoffe, daß mein Sohn zu einem riesen heranwuchs, der bald fähig war, Bäume mit seinen blosen Händen zu entwurzeln. In dieser Zeit baute er auch diesen Turm, damit ich sicher wäre, wenn er zur Jagd oder zum Spiel fort war. Das Einhorn ist noch immer sein ständiger Begleiter, denn ihre anderen Kinder sind in die Welt hinausgezogen.

Als der Zwerg seine Erzählung beendet hatte, begann der Erdboden unter Arthurs Füßen zu beben. "Dort kommt gerade mein Junge," sagte der Zwerg. Arthur, der nicht wußte, wieviel von der Erzählung er Glauben schenken konnte, war zutiefst beeindruckt, als er einen wahren Riesen aus dem Wald schreiten sah, über die eine Schulter lässig einen toten Bären geschwungen, über die andere eine mächtige Keule. Neben ihm trottete ein milchweißes Einhorn.

Das Geheimnis der fehlenden Türen und Fenster des Turmes erklärte sich, als der Riese Arthur zu den Zinnen emporhob, wo er dem Zwerg gegenüberstand, der Riese indess blieb draußen.

Am folgenden Tag befreite der Riese und das Einhorn Arthurs Schiff aus seiner sandigen Falle und er setzte Segel nach Hause.

Aus "The Book of the Unicorns" von Nigel Suckling
frei ins Deutsche von Deliah

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