Last Unicorn - 2

Man sieht das Einhorn immer langsamer durch die Jahreszeiten rennen...
Szene: Ein dicker, alter Mann arbeitet auf seinem Feld als das Einhorn die Straße zu ihm heraufkommt.

BAUER:
Oh, hallo Du da, Kleines! Hallo mein Schatz! Na du, wem magst Du wohl gehören? Ein hübsches kleines Ding wie du? Na, komm her braves Mädchen! (Er zieht seinen Gürtel aus und macht ihn zu einer Schlinge.) Ich will dich striegeln und schmücken, Du wirst die schönste aller Stuten weit und breit.

Das Einhorn wiehert laut und weicht dem Gürtel aus.

EINHORN (nur Stimme):
Stute, Stute? Ich, ein Pferd? Dafür hältst du mich? Ist es das was du siehst?

BAUER:
Halt schön still, schön stillhalten Kleines. Was bist du doch für ein schönes Geschöpf! Ich füttere dich und bring dich auf den Markt. Komm, Pferd!

EINHORN (nur Stimme): Ein Pferd bin ich? Ein Pferd, und ob!

Das Einhorn steckt sein Horn durch die Schlinge, wirft sie zu Boden, rennt die Straße entlang, und bringt den Bauer zu Fall.

BAUER: Na sowas! Das ist vielleicht ein Pferd! Hmmm, mein Fuß muß ausgerutscht sein.

Szene: Das Einhorn sitzt am Straßenrand. Ein Mann auf einem Wagen fährt vorbei, und alles was man sieht ist ein Pferd.

EINHORN (nur Stimme): Ich hatte vergessen, daß Menschen Einhörner nicht sehen können. Wenn die Menschen nicht mehr wissen, was sie sehen, dann gibt es vielleicht doch noch Einhörner auf der Welt, unerkannt und froh darüber.

Szene: Das Einhorn läuft die Strasse entlang, der Regen fällt während des Weges über eine Brücke.

Szene: Das Einhorn schläft im Gras am Straßenrand Eine schwarze Karavane aus Wagen nähert sich. An der Seite von Zweien hängt eine Leinwand. In roten Buchstaben steht darauf "Mommy Fortuna's Midnight Carnival". In kleineren Buchstaben darunter, "Creatures of night, brought to light". Man sieht eine gebückte alte Frau, die den vordersten Wagen lenkt. Sie trägt einen Hut, der wie ein Ast geformt ist, und auf dem ein Rabe sitzt. Sie hält den Wagen an und sieht das Einhorn.

MOMMY FORTUNA:
Sieh mal da, der Teufel hol' mein altes, kaltes Herz. Ich dachte immer, ich hätte schon die letzten gesehen. (ruft in Richtung Wagen) He ihr zwei! Wenn er wüßte... Aber ich sage ihm nichts. Er hält es für ein Pferd, bestimmt. Was für ein Zauberer.

RUKH:
Was ist denn los, warum zum Teufel halten wir an?

MOMMY FORTUNA:
Was glaubst du ist das Rukh? Was siehst du liegen dahinten?

RUKH:
Totes Pferd.

MOMMY FORTUNA:
Du bist ein Narr! Das dachte ich mir. Was meinst du, Zauberer? Was siehst du mit deinem magischen Blick?

Rukh stößt den großen Mann mit dem Ellenbogen an und lacht. Man sieht jetzt ein Gesicht; er hat keinen Bart, grüne Augen, und einen blauen Hut. Er starrt das Einhorn an. Die alte Frau packt ihn am Kragen und zieht ihn zu sich hinunter.

MOMMY FORTUNA:
Antworte, du Pfuscher!

SCHMENDRICK:
Ich - Ich sehe ein Pferd. Eine gewöhnliche weiße Stute.

MOMMY FORTUNA (kichert):
Hab ich mir gedacht. Na schön. Es ist eine weiße Stute. Ich will sie für den Karneval. Der letzte Käfig ist leer.

SCHMENDRICK:
Ich brauche ein Seil.

MOMMY FORTUNA:
Das Seil, das diese Stute hält, hat noch keiner geknüpft. Wir werden unser Bestes tun mit eisernen Stangen.

SCHMENDRICK:
Oh, sie wacht auf!

MOMMY FORTUNA:
Ich lege einen Schlaf auf sie! "Skagrimmitch! Kastavatche! Nitchai! Nitschaul!"

Etwas strömt von den Fingern der alten Frau. Es materialisiert sich zu einem festen, gebogenene, leuchtend blauen Horn vor dem echten Horn des Einhorns.

MOMMY FORTUNA:
Jetzt sperrt sie ein. Sie schläft bis zum Sonnenaufgang.

Szene: Morgens. Die Käfige sind zu einer Formation angeordnet. Rukh zeigt einer Gruppe von Dorfbewohnern die Kreaturen im "Midnight Carnival".

RUKH:
Das hier ist der Manticor. Menschenkopf, Löwenkörper, Schwanz eines Skorpions. (Die Dorfbewohner murmeln.) Geschöpfe der Nacht, ans Licht gebracht! Das ist der Drache. Speit auch Feuer ab und zu - meistens auf Leute die ihn reizen, Lausejunge. In ihm glüht ein Inferno, aber seine Haut ist so kalt, daß sie brennt! Spricht siebzehn Sprachen gebrochen und leidet an Gicht. Geschöpfe der Nacht, ans Licht gebracht! ... Ladies, treten sie zurück.

Schmendrick schleicht zum Käfig des Einhorns hin.

SCHMENDRICK:
Ich sollte gar nicht hier sein. Also schnell, sag mir was du siehst. Hab keine Angst. Schau dir diese Fabelwesen an und sag mir was du siehst.

EINHORN:
Ich sollte gar nicht hier sein. Also schnell, sag mir was du siehst. Hab keine Angst. Schau dir diese Fabelwesen an und sag mir was du siehst.

SCHMENDRICK:
Das stimmt; sie kann nur täuschen. Und auch nur jene, die getäuscht werden wollen.

RUKH (zu den Dorfbewohnern):
Die Midgardschlange. Sie birgt die ganze Welt in ihren Windungen.

SCHMENDRICK (zum Einhorn):
Sie kann nicht mal Sahne in Butter verwandeln. Aber sie kann einen Löwen wie einen Manticor aussehen lassen für Augen die einen sehen wollen. Genauso wie sie einem echten Einhorn ein falsches Horn aufsetzt damit man es als Einhorn erkennt. ...Ich kenne dich. Selbst wenn ich blind wäre wüßte ich was du bist.

EINHORN:
Wer bist du?

SCHMENDRICK:
Ich bin Schmendrick, der Zauberer. Du wirst nicht von mir gehört haben. ...Ich unterhalte die Zuschauer hier , wenn sie auf den Anfang der Show warten. Kein toller Job für einen echten Zauberer, aber ich hatte schon schlechtere.

EINHORN (schaut in den Käfig nebenan):
Die dort ist wirklich. Das ist die Harpyie Selen. (Die Harpye krächzt boshaft.)

SCHMENDRICK:
Ja. Die alte Frau hat sie im Schlaf zufällig gefangen, genau wie dich. Oh, sie hätte sich nie einlassen sollen mit einer wirklichen Harpyie, und auch nicht mit einem wirklichen Einhorn, denn die Wahrheit schmilzt jeden Zauber, immer. (Die Harpye krächzt ein weiteres Mal) Sie wird sich sehr bald schon befreien, und wehe sie erwischt dich dann noch im Käfig.

RUKH (sieht ihn):
Bleib weg von dahinten! Du weißt was sie dir gesagt hat!

SCHMENDRICK (verbeugt sich unbeholfen vor dem Einhorn):
Hab keine Angst! Schmendrick ist mit dir! Tu nichts bis du von mir hörst! (läuft davon und verschwindet zwischen den Käfigen)

RUKH (hält vor dem Käfig des Einhorns):
Das Einhorn.

DORFBEWOHNER:
Ein Einhorn! (Gemurmel)

Szene: Später am selben Tag. Rukh starrt die Harpyie an; Mommy Fortuna steht neben ihm.

RUKH:
Es ist mir verdammt gleich wieviele verdammte Zaubersprüche du noch hast. Schaff diese Harpyie weg! Sie denkt die ganze Zeit darüber nach - was sie uns antun wird! Schaff diese Harpyie weg, Mommy!

MOMMY FORTUNA:
Sei still du Dummkopf! Keine Hexe der Welt hält eine Harpyie gefangen, und keine wird es je tun. Ich behalte sie! Ich kann sie in Wind verwandeln wenn sie entflieht, oder in Schnee! Oder in sieben Tage Musik!

Die Harpyie schreit und beginnt mit den Flügeln zu schlagen. Der Käfig wackelt.

RUKH (schreit):
Sie bricht aus! (rennt weg)

MOMMY FORTUNA (bewegt ihre Finger umher; dieselbe Substanz strömt aus ihnen heraus.):
Nein. Noch nicht. Noch nicht. Du bist mein. Und wenn du mich tötest, du bist mein. (Die Harpyie wird ruhig und der Kafig hört auf zu wackeln.) (kichert und spricht zum Einhorn) Die Harpye ist genauso alt wie du, und genauso unsterblich. Und sie war genauso leicht einzufangen, falls du es wissen willst.

EINHORN:
Prahle nicht, alte Frau. Dein Tod sitzt in dem Käfig und sie hört dich.

MOMMY FORTUNA:
Oh sicher, eines Tages wird sie mich töten, aber sie wird nie vergessen, daß ich sie gefangen habe, daß sie meine Gefangene war. Und das ist meine Unsterblichkeit. (lacht) Und du, warst auf der Jagd nach deinem eigenen Tod; und ich weiß wo er auf dich lauert. Ich kenne ihn, diesen...

EINHORN:
Sprichst du von dem roten Stier? Sag mir wenn, und wo er ist, wenn du's weißt!

MOMMY FORTUNA:
Der rote Stier von König Haggard. So, du weißt also von dem Stier. Nur er wird dich nicht bekommen. Du gehörst mir.

EINHORN:
Du weißt daß es nicht stimmt. Behalte Deine armseligen Schatten wenn Du willst, aber laß mich gehen. Und - laß sie gehen. Ich kann sie nicht eingesperrt sehen. Sie ist so wirklich wie ich. Wir sind zwei Seiten der gleichen Magie. Laß sie gehen.

MOMMY FORTUNA:
Zuerst kommt immer das Showgeschäft! Glaubst du ich weiß nicht was wahre Hexenkunst ist? Du weißt wozu ich fähig bin. Keine Hexe der Welt hat nicht schon gelacht über Mommy Fortuna und ihre Hausmacher Schrecken - doch keine andere hätte es je gewagt...

EINHORN:
Die Harpyie und ich - wir sind nicht für dich.

MOMMY FORTUNA:
Für wen seid ihr dann? Glaubst du wirklich diese Dummköpfe hätten dich erkannt ohne meine Hilfe? (lacht) Nein! Ich mußte dir ein Horn aufsetzen, das sie sehen konnten! Heutzutage braucht es einen billigen Jahrmarktstrick damit die Leute ein echtes Einhorn erkennen. Doch der rote Stier wird dich erkennen wen er dich sieht; deshalb bist du sicherer hier. Du solltest mir dankbar sein daß ich dich beschütze.

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